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Montag, 10. Oktober 2011

Stadtteil Witten-Herbede: Bürgerwille gegen die Arroganz der Macht in Witten. Stationen der letzten vierzehn(!) Jahre.

Dokumentation des Bürgerkreis Herbede e.V.,

Entwicklung 1997-2011

Vorwort
Die Auseinandersetzung mit der Stadt Witten über die Ansiedlung eines Discounters oder eines großflächigen Lebensmittelmarktes dauert bereits seit 2003.
Seitdem gibt die Verwaltung keine Ruhe, ihr Vorhaben gegen die Interessen der Bürger, Gewerbetreibenden und Immobilieneigentümer im Zentrum durchzusetzen und das städtische Gelände im Gerberviertel (zu einem Höchstpreis?) an einen Investor zu verkaufen, um dort einen großflächigen Lebensmittelsupermarkt zu errichten. Da der zu erzielende Gewinn für die Stadt als einziges Argument für den Verkauf eines städtischen Grundstücks nicht ausreicht, der Meistbietende aus dem Lebensmitteleinzelhandel stammt, muss die Verwaltung begründen, warum sie eine Entscheidung trifft, die wahrscheinlich zu Lasten der Gewerbetreibenden im Zentrum (Einzelhändler, Dienstleister, Immobilieneigentümer) gehen, vorhandene Arbeitsplätze vernichten und ein zuvor vitales Zentrum veröden lassen wird.
Dass die eigene Stadt zu einem derartigen Akt der Barbarei fähig sein kann, ist schwer vorstellbar, aber eine Tatsache:

Trotz aller Bedenken und Warnungen halten es die Verantwortlichen nicht einmal für notwendig, eine Auswirkungs-Analyse durchzuführen! Wozu auch? Eines der altgedienten Ratsmitglieder bemerkte zu einer Kritik an einer Standortscheidung zu Gunsten Lidls selbstgefällig folgendes: Wenn Lidl Geld für eine Studie bezahle, die zu dem Ergebnis komme, dass eine Ansiedlung für Lidl sinnvoll sei, dann sei das Ergebnis richtig und man brauche kein Geld für eine eigene Studie auszugeben, da Lidl ja nicht für etwas bezahle, was nicht richtig sei. Wäre diese "Logik" eine Ausnahme, hätte die Verwaltung in den vergangenen acht Jahren Wert auf die Analyse der Folgen gelegt.

Im Unterschied zu vielen anderen Städten und Stadtteilen im Ruhrgebiet hat Herbede aber immer noch ein vitales Zentrum, in dem sich die Bürger gerne aufhalten und gerne einkaufen - deshalb widersetzen sich Bürger und Gewerbetreibende gemeinsam und mit Ausdauer den städtischen Plänen zu seiner Zerstörung.

Bürgerwillen gegen Arroganz der Macht. Stationen der letzten 14 (vierzehn!) Jahre:

Chronik 1997-2011

Im Einzelhandelsgutachten für Witten (GMA) wurde 1997 u. a. empfohlen, neben der Innenstadt die
  • “gewachsenen“ Stadtteil- und Versorgungszentren zu entwickeln und 
  • Ansiedlungen von Einzelhandelsbetrieben außerhalb dieser Zentren (insbes. mit zentrenrelevanten Sortimenten) zu vermeiden. 
  • Das Gutachten bestätigt die historisch gewachsene und qualitativ wertvolle Ausprägung des Zentrums Herbede und definiert das Zentrum im Wesentlichen durch eine zeichnerische Linie entlang der Vormholzer Straße, Meesmannstraße und Wittener Straße. 
  • Das Gutachten empfiehlt, eine Überschreitung der Wittener Straße wegen der Barrierewirkung zu verhindern.
Ausschuss und Rat fassten keinen Beschluss zum Einzelhandelsgutachten  und wichen in der Praxis laufend von den Empfehlungen ab, Beispiele: Crengeldanzstraße - Plus; Arthur-Imhausen-Straße - Aldi; Sprockhöveler Straße - Lidl; Westfalenstraße - Lidl; Dortmunder Straße – Plus; Bodenborn - Aldi.
Im Widerspruch zum Einzelhandelsgutachten sollte im Oktober 2003 der Beschluss des Ausschusses (Entwurf Rahmenplan 8 der Verwaltung) als Grundlage zum weiteren Verwaltungshandeln, u. a. mit dem Inhalt Ansiedlung eines Lebensmittel-Discounters (Lidl) anstelle der ehemaligen Gerberschule dienen.

Die Bürgerinitiative “Rettet das Gerberviertels“ startete darauf hin 2003 ein Bürgerbegehren gegen den Abriss der Gerberschule und Verkauf der städtischen Fläche.
Instruktiv zur Erinnerung ist die Begründung des Bürgerbegehrens, die weit über die Verhinderung des Abrisses und Verkaufs hinausging:
 „Gegen die Ansiedlung eines Discounters sprechen speziell folgende Gründe:
  • Die Ansiedlung blockiert Entwicklungspotentiale des Quartiers in Zusammenhang einer möglichen sanften, nachhaltigen, tourismusorientierten Entwicklung. Sie steht daher in Widerspruch zum beabsichtigten Verkauf des denkmalgeschützten Rathauses und seiner Nutzung z.B. als Hotel durch Verkehrsaufkommen, Lärm und die Zerstörung des Ambientes. Sie steht weiterhin in Widerspruch zu den Perspektiven des Projekts „Ruhrtal“ und dem damit verbundenen Versuch, Herbede im Rahmen des Projekts touristisch und städtebaulich aufzuwerten. Auch die Entwicklung der Bahnflächen, die in einer ähnlichen städtebaulichen Perspektive weitergetrieben werden muß, wird durch die Ansiedlung verhindert. 
  • Die Ansiedlung gefährdet die wirtschaftliche Entwicklung des jetzigen kommerziellen Kernbereichs um die Meesmannstraße massiv. Die gegebene Einzelhandelsstruktur droht zerstört zu werden. Bei zu erwartendem „shop in shop“ des Discounters sind auch kleinere Einzelhandelsgeschäfte gefährdet. Durch die Verlagerung/Ablenkung der Kundenströme vom Kernbereich Meesmannstraße steht die Ansiedlung in Widerspruch zur Empfehlung des GMA-Gutachtens, das explizit eine Aufwertung/Ergänzung des Kernbereichs empfiehlt. 
  • Die Ansiedlung wird zu einem erheblich erhöhten Verkehrsaufkommen an der Kreuzung Wittener Staße/Vormholzer Straße und damit zu einer Verschlechterung der jetzt schon unzumutbaren Verkehrssituation führen. Zu erwarten ist eine erhebliche Erhöhung der Lärmbelästigung der Anwohner und die Entwicklung eines weiteren Unfallschwerpunkts. 
  • Die Ansiedlung gefährdet auch die wirtschaftliche Entwicklung des Stadtteils Herbede. Der kurzfristigen Einnahme von 1,7 Mio. Euro, die die Stadtverwaltung zur Sanierung ihres Defizits bei Verkauf der Grundstücke verbuchen kann, stehen durch ein mögliches Wegbrechen von bestehendem Einzelhandel Ausfälle von Gewerbesteuern gegenüber. Derselbe Effekt wird durch die Verminderung der Attraktivität des Stadtteils erzielt. Gleichzeitig ist mit der Ansiedlung die Schaffung zusätzlicher öffentlicher Infrastruktur verbunden, die eine zusätzliche Belastung des städtischen Haushalts ( Investitions- und Folgekosten ) mit sich bringt.“
Das Bürgerbegehren erreichte das erforderliche Quorum.
Die Zahl der Unterschriften lag glücklicherweise weit über dem Quorum von ca. 4.100 gültigen Unterschriften: ca. 5.300 Unterschriften wurden abgegeben. Deshalb konnte die Verwaltung nicht wie bei dem Bürgerbegehren gegen die Verlegung der Adolf-Reichwein-Realschule/Annen durch Streichung von angeblich ungütigen Unterschriften – abgegeben ca. 4800, anerkannt ca. 3600 – das Begehren unter das Quorum drücken).
Im März 2004 beschloss der Rat vor der anstehenden Kommunalwahl (!): „Dem Bürgerbegehren wird stattgegeben. Die Gerberschule plus Teile des Gerberviertels werden nicht an die Lidl GmbH & Co. KG verkauft."

Für die Verwaltung war diese Niederlage zwar ärgerlich, aber an ihrem Ziel hielt sie fest. Die von der Bürgerinitiative vorgeschlagenen Alternativen für eine Nutzung der Fläche im Gerberviertel bzw. des alten Schulgebäudes wurden abgelehnt. Im Juli 2004 schrieb das Planungsamt an die Träger öffentlicher Belange: "Die Verwaltung hat die im Folgenden dargestellten planerischen Leitlinien für den Planungsraum erarbeitet. ... An Stelle der ehemaligen Grundschule Herbede soll in direkter Nähe zum Herbeder Marktplatz im Stadtteilzentrum ein Lebensmittelmarkt entstehen.“

Der Rahmenplan wurde den Herbeder Bürgern im November 2004 vorgestellt und in einem Workshop am 08.01.2005 diskutiert. Die Workshop-Diskussion über den Rahmenplan führte zu einem Konsens im Plenum: Kein zentrenrelevanter Einzelhandel im Gerberviertel. Die Dokumentation des Workshops, die von der Stadt am 04.02.05 auf deren homepage veröffentlicht wurde, enthielt die Zusage der Verwaltung, mit den Ergebnissen des Workshops weiterzuarbeiten. Nach kurzer Zeit wurde das Protokoll von der Homepage der Stadt entfernt.

Auf einer Bürgerversammlung im Februar 2006 wurden die Rahmenplanergebnisse vorgestellt; 2 Alternativen wurden vorgestellt: 1. Wohnungen und Seniorenwohnungen, 2. Markthalle, Dienstleistungen, Handelseinrichtungen mit Ausrichtung auf den Freizeitbereich.
Im Widerspruch zu ihrer Zusage legte die Verwaltung in der Ausschreibung fest: "Die geplante Nutzung im Gerberviertel kann Wohnen und Dienstleistung/Handel umfassen;....", ohne Einschränkungen bzgl. Handel, jedoch mit Hinweis auf den Einklang mit dem städtebaulichen Rahmenplan. Es wurden 2 Angebote mit Wohnnutzung und 5 Angebote mit Lebensmittel-Einzelhandel eingesandt.
Unter Missachtung des Bürgerwillens und ihr Wort brechend favorisierte die Verwaltung im Beschlussvorschlag die Weiterverfolgung der Gebote von REWE und EDEKA.

Einer der Wohnungsbauinvestoren (Skiba) bekräftigte im März 2007 gegenüber dem Bürgerkreis sein weiter bestehendes Interesse an einer Wohnbebauung des Grundstücks. Er war dazu bereit, einen hohen, aber realistischen  Grundstückspreis zu bezahlen, den die Verwaltung hätte akzeptieren können. Aber es bestand keinerlei Interesse daran. Der Anbieter war noch nicht einmal über die Ablehnung seines Angebotes informiert worden! Weil es die Pläne durchkreuzte?

Der Ausschuss nahm den Beschlussvorschlag nicht an und empfahl stattdessen eine Infoveranstaltung im Januar 2007.
Innerhalb von wenigen Jahren beschäftigte sich jetzt der dritte Stadtbaurat, Dr. Bradtke, mit dem Thema.  Er erklärte, die Lösungen, die von einem Erhalt der Schule ausgehe, für wirtschaftlich und städtebaulich unakzeptabel, legte die Gründe aber nicht offen. Er trat in die Fußstapfen seiner Vorgänger.

Die Missachtung des Bürgerwillens und der Ergebnisse der Workshops und der Beschlüsse führten zu einer gemeinsamen Erklärung der drei Herbeder Vereine ( Bürgerkreis, Heimatverein, Werbegemeinschaft): „Drei Herbeder Verbände lehnen Plan strikt ab“.

Auf der Bürgerversammlung im Januar 2007 wurde der Verwaltungsvorschlag fast einhellig von den ca. 160 anwesenden Bürgern abgelehnt. Auf der Homepage der Stadt Witten hieß es: „Lebhafte Diskussion über das Gerberviertel“. Das Protokoll der Bürgerversammlung dokumentiert die Ablehnung einer Einzelhandelsansiedlung durch die Bürger und durch den Vertreter der IHK. Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke verwies auf der Homepage der Stadt darauf, dass die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung in eine Empfehlung für die weiteren Beratungen in den politischen Gremien (ASU, AfAWiFö, HFA und Rat) einfließen werden.

Als die Stadt ebenfalls im Januar 2007 das Mietangebot Wittener Künstler zur Anmietung der Gerberschule unter dem Vorwand ablehnte, die gebotene Miete sei der Verwaltung zu niedrig und außerdem werde von der Stadt erwartet, die Renovierung des Schulgebäudes bezahlen, eine Behauptung, die von den Künstlern sofort dementiert wurde, wussten die Herbeder Bürger dies zu deuten: Die Verwaltung strebte für sich einen Sieg und keine Kooperation an.

Im Januar 2007 berichtete der Bürgerkreis nach Gesprächen mit Immobilieneigentümern, Immobilieneigentümer deren Bereitschaft, ihre Grundstücke zwischen Meesmannstraße und Rautertstraße als Fläche für den Einzelhandel zur Verfügung zu stellen. Das Protokoll dieses Gesprächs wurde am 10.01.07 von den Eigentümern schriftlich bestätigt. Dr. Bradtke nahm die für ihn heikle Angelegenheit in die Hand und erklärte der Presse am 18.03.07, die Bemühungen für eine Einzelhandelserweiterung im Herbede Ortskern seien gescheitert und verstärkte diese Behauptung noch einmal wenige Tage später in der Presse: „Eigentümer wollen nicht verkaufen.“ Nach seinen Angaben standen die freien Grundstücke neben Plus in Herbede nicht für einen Supermarkt zur Verfügung. Viele Monate später, im Dezember 2007, revidierte er unter öffentlichem Druck seine Aussage (DerWesten, 03.12.07)

Es hätte eigentlich keiner weiteren Diskussion bedurft, aber, um den demokratischen Schein zu wahren, fand am 23.03.07 eine Bürgerwerkstatt, in der die gegensätzlichen Meinungen zum Gerberviertel zum Ausdruck gebracht wurden. Die deutliche Mehrheit der Bürger sprach sich wiederum gegen eine großflächige Einzelhandelsansiedlung aus. Der Einzelhandelsverband lehnt die Ansiedlung ebenfalls ab.

Im Frühjahr 2007 startete die Verwaltung einen neuen Versuch, die Herbeder Bürger und Kaufleute von ihrem Standpunkt abzubringen, dieses Mal direkt an den Bürgerkreis gewandt:. Dr. Bradtke, so heißt es in einem Pressebericht vom 01.04.2007, könne die Auffassung des Bürgerkreises zur Mischnutzung (einschl. Wohnansiedlung) im Gerberviertel nicht teilen. Er hatte bereits am 22. und 23. März 2007 in der Presse behauptet, Wohnen sei gemäß Mitteilung der Bezirksregierung Arnsberg vom 22.02.07 auf dem Gerberschulgrundstück unzulässig. Zeitgleich (zufällig?) spricht sich der SPD-Ortsverein Herbede für die Ansiedlung des Lebensmittel-Vollsortimenters Edeka im Gerberviertel aus. Eine email der Bezirksregierung Arnsberg stellt auf Anfrage des Bürgerkreises einen Tag später jedoch klar, dass die Aussage gegenüber der Stadt Witten vom 22.02.07 lediglich auf ein Bauleitplanverfahren zutrifft; bei Ansiedlung von Wohnen in der bestehenden Gemengelage seien die Bedenken zurückzustellen!
Einige Wochen später, im Mai 2007, behauptet auch Dr. Bradtke, dass eine Wohnbebauung keinesfalls ausgeschlossen sei.

Im Zusammenhang mit dem Projekt Witten 2020 wurden Masterpläne erstellt, darunter auch ein neuer  Masterplan Einzelhandel (2007), in dem sich der Gutachter (GMA) den Plänen der Verwaltung in der Frage des Gerberviertels weitgehend angelehnt hatte. Der abschließenden Beratung des Masterplans vorauseilend, empfahl eine Verwaltungsvorlage für den ASU die Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens zur Ansiedlung eines Lebensmittel-Einzelhandelsbetriebes mit 1.300 m² und die Ausschreibung des „Gerberviertel-Grundstücks“. Auf Intervention des Bürgerkreises in der Steuerungsgruppe zum Masterplan Einzelhandel Witten (Sitzung 07.08.07) wird die Vorlage von der Verwaltung jedoch zurückgenommen.

Bedarf es noch weiterer Belege für den Mangel an Bereitschaft der Verwaltung und der SPD-Ratsfraktion, den Willen der Bürger und Beschlüsse von Bürgerversammlungen zu respektieren? An dieser Ignoranz hat sich bis heute im Grunde nichts geändert. Bürgerversammlungen, Werkstattgespräche, Argumente zählen in Witten nicht, sind eher lästig, weil für die Verwaltung von vornherein klar ist, wer das Sagen in der Stadt hat. Jedenfalls nicht die Bürger. Dazu passt auch die Äußerung des Sozialdemokraten und stellvertretenden Bürgermeisters Jürgen Dietrich, der die besorgten Annener Gewerbetreibenden (GAG) und deren Bitte, vor Abstimmung des Masterplans Einzelhandel (2007) mehr Zeit für die Diskussion zu bekommen, mit den Worten abkanzelte: "Das ist eine Frechheit", schließlich hätte die GAG zwei Monate Zeit für eine schriftliche Stellungnahme gehabt und sie nicht genutzt. (RuhrNachrichten, 27.11.2007). An die Adresse der Annener Werbegemeinschaft, die in ihrem Schreiben argumentiert, dass andere Städte sich mehr Zeit zur Verabschiedung von Masterplänen nehmen, formulierte er: „Man kann uns wirklich nicht mit großen Städten wie Bochum oder Dortmund vergleichen. Gemessen an unserer Einwohnerzahl müssten wir schon lange fertig sein.“ (Ruhr Nachrichten, 27.11.2007)

Die Verwaltung ist konsequent bürgerfern: „Es gibt Meinungsstreitigkeiten, doch die lassen sich nicht ausräumen, auch wenn wir noch 15 Gespräche führen“, verdeutlichte Stadtbaurat Markus Bradtke 2007 noch einmal die Position der Verwaltung. (Masterplan Handel: Mehr Zeit gefordert Witten, 03.12.2007, WAZ). Wenn man bedenkt, dass sich die Verwaltung aufgrund der Datenlage eine Meinung in der Regel schneller bilden kann als Ratsmitglieder oder ehrenamtlich tätige Bürger und die Mehrheit der Ratsmitglieder in Witten aus Tradition, Unwissenheit und Bequemlichkeit kaum Kontrolle ausübt, sondern sich auf eine vermeintlich sach- und fachkundige Verwaltung verlässt, dann steht der Sieger dieser Auseinandersetzung für die Verwaltung fest: die Verwaltung.

Im Dezember 2007, nachdem sich die falsche Behauptung bezüglich der Grundstücke im Zentrum nicht mehr aufrecht erhalten ließ,  hatte der Stadtbaurat Bradtke in der Presse endlich eingestanden, bei Plus (Netto) könne sich eine Einigung mit dem Grundstückseigentümer wegen einer Erweiterung abzeichnen und Rewe könne sich am Edeka-Standort einen Frischemarkt vorstellen. Dies war dem Bürgerkreis in laufenden Gesprächen mit den Immobilieneigentümern immer wieder bestätigt und dem Stadtbaurat mitgeteilt worden.  Es entspricht der Mentalität eines schlechten Verlierers, nur so viel einzugestehen, wie ihm nachgewiesen werden kann. Bradtke hebt jetzt einen neuen Aspekt hervor: "Wir streben aber eine vollständige Nahversorgung an", sagte Bradtke der WAZ. Damit wies er die Idee der Vergrößerung vorhandener Verkaufsflächen im Zentrum pauschal zurück. So rigoros hatte dies nicht einmal das GMA-Gutachten formuliert.
"Wir" - Wer ist "wir" und hat Bradtke dazu ermächtigt, sich über Gutachten und Bürger-Beschlüsse hinwegzusetzen? Er ignoriert, dass es in Herbede eine "vollständige Nahversorgung" gibt, die auf absehbare Zeit auch nicht gefährdet ist, wie es das neueste Gutachten von Stadt+Handel, 2011, bestätigt - auf ausreichend großer Verkaufsgesamtfläche mit kurzen Wegen, zwar nicht unter einem Dach, dafür aber durch die frische Luft, vielseitig, kundenfreundlich und mit einem nicht von Konzernen diktierten Angebot.

Die Irreführung der Bürger durch die Verwaltung nimmt 2011 neue Ausmaße an, dieses Mal in einer konzertierten Aktion von Verwaltung, SPD-Ortsvereinen und der Werbegemeinschaft, die aus Arglosigkeit den Leiter des Edeka-Marktes zum Vorsitzenden gewählt hat.
  • Wider besseren Wissens (das Gutachten vom Büro Stadt+Handel lag vor) behauptet  Stadtbaurat Markus Bradtke, der neue Edeka-Markt in Heven ziehe Kunden aus Herbede ab: „Die Leute stimmen mit den Füßen ab. Es gibt viele Herbeder, die nach Heven in den neu gebauten modernen Supermarkt fahren.“ Die Umfrage von Stadt+Handel (im Auftrag vom Einzelhandelsverband, der IHK und der Verwaltung), deren Ergebnisse im September bekannt gemacht wurden, stellt dagegen fest, dass die Herbeder Kunden dem Standort  überdurchschnittlich treu sind. Das Gutachterbüro ist über den Zweifel der Voreingenommenheit erhaben.
  • Die Werbegemeinschaft wurde im August 2011 von der Bürgermeisterin aufgefordert, eine Stellungnahme zur geplanten Aufhebung des Moratoriums abzugeben. Dieser Aufforderung kam der Vorsitzende, Edeka-Filialleiter in der Meesmannstraße, der zuvor mit lautstarken Bekenntnissen für die Umsiedlung seines Marktes in das Gerberviertel aufmerksam gemacht hatte, nur zu gerne nach. Die Werbegemeinschaft unterstützt ihren Vorsitzenden in dieser Frage nicht, die Mitglieder aus dem Bereich des Zentrums rechnetn mit dem Verlust ihrer Existenz, wehren sich aber nicht.
  • Um den Chor der geringen Zahl von Befürwortern der Ansiedlung eines großflächigen Lebensmitteleinzelhandelsbetriebes im Gerberviertel zu verstärken, führten zwei Ortsvereine der SPD im August 2011 eine Umfrage unter Herbeder Kunden durch, dilettantisch zwar und offenbar nicht mit dem gewünschten Ergebnis, wurden aber, dank guter PR-Arbeit, und darum ging es vermutlich, von der Presse mehrfach als Kümmerer erwähnt, die die Sorgen der Bürger um die Nahversorgung ernst nehmen. Sogar die Vorsitzende des CDU-Ortsvereins und Geschäftsführerin der CDU-Ratsfraktion ließ sich von der Zahl der befragten Kunden beeindrucken; da diese höher war als die (wissenschaftlich ermittelte) Stichprobe von Stadt+Handel, sah sie sich veranlasst, in der Presse zu erwähnen, sie könne sich in den Gutachten von Stadt+Handel "nicht wiederfinden".
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Das Moratorium hat seine Schuldigkeit getan: Die Nahversorgung in Herbede ist nicht gefährdet, die Kaufkraftbindung ist überdurchschnittlich hoch, die Umsätze der Lebensmitteleinzelhändler sind überdurchschnittlich hoch, keiner der drei großen Anbieter denkt daran, aufzugeben. Dies wurde im Gutachten von Stadt+Handel nachgewiesen. Eigentlich könnte die Akte "Verschiebung des Zentrums in das Gerberviertel" jetzt geschlossen werden und die gemeinsame Arbeit an der Modernisierung des Zentrums beginnen. Eigentlich.

Leider sind Zweifel angebracht: Welchen Grund sollte die Verwaltung haben, ihr unsinniges Spiel mit den Herbeder Bürgern aufzugeben, wenn die größte Fraktion im Rat (SPD) ihr den Rücken dafür stärkt und die nächst größere (CDU) keine klare Position bezieht? Wenn die Aufhebung des Moratoriums ohne Auflagen für das Gerberviertel beschlossen werden und dadurch der Weg für die Verschiebung des Zentrums in das Gerberviertel geebnet werden sollte, fangen wir da wieder an, wo wir 2003/2004 schon einmal waren,  beim Bürgerbegehren. Mit dem undemokratischen Vorgehen der Verwaltung und der rücksichtslosen Durchsetzung von Parteiinteressen werden die Herbeder Bürger gewiss keinen Frieden schließen.