Mit Blick auf die Lokalpolitik in Herbede – besonders in den zurückliegenden Monaten - ist dieser Spruch von Karl Valentin so aktuell wie eh und je.
Viel ist von engagierten Bürgern und Lesern gesagt und geschrieben worden, leider nur von diesen, denn die Politiker der großen Parteien im Wittener Rat verstehen sich eher aufs Weghören, Ignorieren und Mauscheln, so auch hinsichtlich der SPD-Beschlussvorlage zur Aufhebung des 2008 geschlossenen Moratoriums.
In der Beschlussausfertigung Moratorium v. 11.2.2008 heißt es: „Das Moratorium entfällt, falls die im Versorgungszentrum Herbede genutzte Verkaufsfläche von derzeit ca. 1860 qm auf die Dauer von einem halben Jahr auf weniger als 1.200 qm sinkt“.
In der Beschlussvorlage der SPD – sinnigerweise unter dem Titel „Stärkung Stadtteilzentrum Herbede“ – knapp 4 Jahre später heißt es nun (12.01.12): „ Das […] beschlossene Moratorium für den Versorgungsbereich „Herbede“ am Standort „ehem. Gerberschule“ keinen Einzelhandel anzusiedeln, ist von der tatsächlichen Entwicklung im Stadtteilzentrum überholt worden“.
TATSÄCHLICH hat sich hier aber nichts verändert, denn sowohl die beiden Discounter als auch der Edeka-Markt sind noch in der Meesmannstraße. Warum soll also das Moratorium ohne Not gekippt werden? In der Beschlussvorlage heißt es weiter: „Der Edeka-Lebensmittelmarkt in der Meesmannstraße hat die Aufgabe seines Geschäfts zum Dezember 2012 […] erklärt und schließt als Unterverpächter mittelfristig einen weiteren Lebensmittelbetrieb an diesem Standort aus“. Seit wann sind Absichtserklärungen Tatsachen? Hier macht sich die SPD, und letztendlich jedes Ratsmitglied, das diesem Beschluss zustimmt, zum Handlanger und in letzter Konsequenz auch zum Vollstrecker des Handelskonzerns Edeka. Nicht nur, dass sie der Edeka-Strategie Vorschub leistet, nein, die Erpressungsnummer soll nun von Teilen des Rates noch abgesegnet werden. Perfide an dieser Strategie ist auch, dass man mit solchen Formulierungen bei den Bürgern Ängste im Sinne von „Wenn der Edeka-Markt geschlossen wird, seid ihr unterversorgt“ schürt. Mit solchen Formulierungen und Unwahrheiten versucht man die Bevölkerung auf Spur zu bringen, denn der Markt schließt erst, wenn er in ein neues Gebäude an der Gerberstraße ziehen kann. Mit Sicherheit braucht es eine gewisse Zeit der Planungsvorbereitung und Realisierung, aber die eigentliche Grundlage für das Moratorium entfällt deswegen nicht. Rechtlich gesehen hat der Rat die Möglichkeit, das Moratorium aufzuheben, aber dann sollen die Damen und Herren Befürworter aber bei der Wahrheit bleiben und Absichtsankündigungen nicht zu Tatsachen mutieren lassen. Was juristisch möglich ist, ist moralisch noch lange nicht gut, denn mit der Ansiedlung eines Vollsortimenters an der Gerberstraße stärken Sie das Stadtteilzentrum Herbede nicht, sondern sie zerschlagen recht mutwillig den zum Teil über Jahrzehnte gewachsenen Einzelhandel in der Meesmannstraße.
HÖREN SIE AUF, DIE BEVÖLKERUNG ZU VERUNSICHERN UND ZU SPALTEN!
Ideen und Vorschläge für die Gestaltung und Nutzung der städtischen Fläche an der Gerberstraße sind von verschiedenen Seiten gemacht worden. Derzeit herrscht auch eine rege Diskussion bei vielen engagierten Bürgern zu diesem Thema. Sie müssen nur mal hinhören und offen für diese Form der gelebten Demokratie sein. Zuweilen hört man, dass diese engagierten Gremien immer nur „gegen“ etwas sind, aber keine konstruktiven Vorschläge liefern. Gerade von diesen Seiten kommen aber Ideen und Alternativen für eine soziale, kulturelle und touristische Nutzung. Nur das möchte man mehrheitlich im Rat nicht hören, es ist nicht lukrativ genug, es widerspricht dem Trend der Zeit …
Der Trend ist aber ein ganz anderer: die Bevölkerung altert zusehends, sie schrumpft, frische und regionale Produkte auf einer überschaubaren Fläche im fußläufig erreichbaren Zentrum bei einem persönlichen Service mit sozialen Kontakten sind immer stärker gefragt! Beenden Sie die Mär vom bald unterversorgten Herbede, von Ihrer Sorge um den Einzelhandel im Stadtteilzentrum. Der eindimensionale Blick auf den Gewinn aus dem Verkauf der Fläche ist nicht nur fatal, sondern auch unsozial und politisch unseriös! Oder haben Sie sich längst den Werbeslogan „Unterm Strich zähl ich“ zu Eigen gemacht? Wenn Sie diesen Weg weitergehen, fehlt unter dem Strich der Wittener SPD das „S“, denn dieses Verhalten kann weder als sozial noch als demokratisch gewertet werden.
BETEILIGEN SIE SICH ENDLICH WIEDER AM DIALOG MIT DEN BÜRGERN!
Diesen Aufruf richte ich an alle, die der Beschlussvorlage der SPD folgen wollen. Bedenken Sie bitte auch, dass es in der Begründung dieser Vorlage lediglich um Wünsche der Antragssteller handelt. Der Konzern, der den Zuschlag erhalten sollte, ist keinesfalls daran gebunden, kein Shop in Shop-Konzept zu realisieren, ebenso verhält es sich mit der „hochwertigen Architektur“, den „medizinaffinen Dienstleistungen“, den „positiven Wechselbeziehungen“, der „städtebaulichen Visitenkarte“! Wenn man in andere Stadtteile Wittens schaut, erfährt man, was plötzlich aufgrund irgendwelcher Sachzwänge nicht mehr realisierbar ist.
Warum muss sich in Herbede diese Fehlentwicklung – wohl gemerkt ohne Not! – wiederholen? Weil es der Bürgermeisterin und der Architektin so Spaß macht? „Das hat richtig Spaß gemacht”, sagt Architektin Bieber über das Bebauungsplanverfahren. Es gebe wenige Kommunen, die das in so kurzer Zeit – kein Dreivierteljahr habe es gedauert – hinkriegen, erklärt sie. Und ihr Dank gilt den Vertretern der beteiligten Ämter“ (DerWesten, 14.08.2009) Spaß auf Kosten verunsicherter Bürger, deren Meinung nicht zählt? NEIN DANKE!
Wenn diese Beschlussvorlage im Rat durchkommt, hoffe ich auf ein Bürgerbegehren, mal wieder. Denn auch aus dieser Niederlage (s. erfolgreiches Bürgerbegehren von 2003/04 gegen die Ansiedlung Lidls an der Gerberstraße) hat die SPD nicht gelernt. Vielleicht erinnern Sie sich mal an Ihren Genossen Johannes Rau, der mit dem Motto „Versöhnen statt spalten“ einen zentralen sozialdemokratischen Leitsatz in wenige Worte fasste.
Bitte lassen Sie in dieser Situation und unter diesen Umständen die Hände weg vom Moratorium und vom Gerberviertel! Diskutieren sie offen und nachvollziehbar mit den Bürgern Alternativen im Zentrum und zukunftsorientierte Lösungen für die Gerberfläche! Oder muss man mit Valentin schon jetzt zu dem Schluss kommen: "Die Zukunft war früher auch besser"?
Michael Schütte