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Samstag, 12. November 2011

Gäbe es auf der Schulnotenskala eine sieben, Herr Augstein (WAZ) hätte sie verdient.

Gastbeitrag
Der Wittener Filz spielt seine Karten der Reihe nach aus: Nach den Karten "Unterversorgung", "Parkplatzmangel", "Industriebetriebe", "Schließungsankündigung" liegt nun auch die Karte "Presse" auf dem Tisch. Ein Journalist, der Redaktionsleiter der Wittener Lokalredaktion der WAZ und WR, Jürgen Augstein, vertritt kongenial die politische Linie der großen Fraktionen und, mehr noch, er ruft zum Sturm auf das Moratorium und zur Ansiedlung eines Lebensmittelsupermarktes im Gerberviertel auf.

Herr Augstein hat zwar den Bericht über die Schließungsankündigung Edekas einerseits und seine persönliche Meinung dazu andererseits an verschiedenen Stellen der Zeitung platziert, aber in der Kernaussage unterscheiden sich beide Teile nicht voneinander:

In seinem Bericht "Herbede: Edeka schließt 2012" greift Herr Augstein am 11.11.2011, 18:42 Uhr, das Gutachten von Stadt+Handel an.
"Ein Gutachten von Einzelhandelsverband und IHK war noch im Sommer zu dem Schluss gekommen, dass wegen überdurchschnittlich hoher Umsätze nicht mit der Aufgabe eines der drei Supermärkte in Herbede zu rechnen sei und daher auch kein Bedarf für eine Neuansiedlung im Gerberviertel bestehe." Das gesamte Gutachten wird in Frage gestellt: "Wie die jetzige Entscheidung von Edeka Rhein-Ruhr zeigt, lagen die Experten völlig daneben." Die Debatte um einen größeren „Vollsortimenter“ im Gerberviertel bekommt für Augstein "eine ganz neue Richtung".

Welche Richtung er meint, sagt Herr Augstein, um 18:49 Uhr, in dem Kommentar "Jetzt ist die Politik gefragt", die Schließungsankündigung sei ein "Paukenschlag",
"Ein Paukenschlag deshalb, weil man sich alle Debatten und Gutachten und Umfragen der vergangenen Monate hätte sparen können, wenn man dies früher gewusst hätte. Edeka hat natürlich stillgehalten, weil es nicht frühzeitig seine Kunden im Ortskern vergrauen will. Aber diese Entscheidung bedeutet eine völlig neue Ausgangslage. Sie erfordert schnelles Handeln seitens der Politik.
Herbede kann sich kein Moratorium mehr erlauben, das jede weitere Entwicklung im Gerberviertel blockiert. Noch bevor Edeka schließt, muss eine Lösung her. Herbede braucht einen zeitgemäßen Frischemarkt mit Parkplatz. Sonst wandern noch mehr Kunden in andere Ortsteile oder Städte ab."
Diese Zeilen könnten aus dem Werbematerial der SPD-Ortsvereine stammen. Wir alle kennen diesen Müll zur Genüge! Jeder kluge Herbeder weiß, dass die Schließungsankündigung etwas über die Strategie des Edeka-Konzerns, die Taktiererei der Verwaltung oder der Wittener Politik aussagt, aber nichts über die Qualität des Standortes. Differenzierter Journalismus sieht anders aus!

Nebenbei: Herr Augstein war weder bei der öffentlichen Diskussion des Gutachtens am 26.10.2011 im Markuszentrum anwesend, noch hat er sich wegen einer Klärung möglicher Ungenauigkeiten im Gutachten an die Gutachter gewandt.

Das Gutachten kann nachgelesen und heruntergeladen werden: Stadt+Handel: "Überprüfung der einzelhandelsbezogenen Entwicklungszielsetzungen für den Standortbereich Witten-Herbede, 12. September 2011", 12 MB (pdf)

Wir haben einmal nachgeschlagen, was einen "ehrbaren" Journalisten ausmacht.

Es gibt einen Pressekodex, eine Sammlung journalistisch-ethischer Grundregeln, die der Deutsche Presserat 1973 vorgelegt hat und dem die Verleger und Journalisten durch ihre Verbände zugestimmt haben. Der Pressekodex wurde immer wieder ergänzt und hat den Charakter einer freiwilligen Selbstverpflichtung. (Mehr dazu bei Wikipedia).

Danach erkennt man qualifizierten Journalismus an bestimmten Merkmalen, beispielsweise daran, ob unterschiedliche, voneinander unabhängige Quellen verwendet, bei Konflikten die Positionen beider Seiten dargestellt werden und sich der Journalist bzw. die Journalistin "aus Prinzip keine Sache zu eigen" macht, "nicht einmal eine gute", und ein Mindestmaß kritischer Distanz zum Thema (und der eigenen Rolle) selbst bei sogenannten Herzblut-Themen einhält.

Zu den obersten Geboten der Presse gehören "die Achtung vor der Wahrheit" und die "wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit". Das bedeutet, dass Nachrichten und Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen sind. (Auch die Verweigerung der Annahme von Vorteilen gehören zum Pressekodex).

Lässt die Berichterstattung Herrn Augsteins das Bestreben nach Wahrheitssuche und nach kritischer Distanz erkennen? Ich meine: nein! Brauchen wir diese Art von unkritischem Journalismus? Wohl kaum, denn er ist nicht das, was ein qualifizierter Journalismus leisten kann und zu leisten hat, erst recht in einer Lokaredaktion! Gäbe es auf der Schulnotenskala eine sieben, Herr Augstein hätte sie verdient.

OW